Pathos. Schweigen. Betroffenheit. Trost. Für die Verstärkung dieser Begriffe, die durch inflationäre Abnutzung schnell zu Leerformeln erstarren, eignet sich kaum eine Kunstform so gut wie Musik. Klassische vor allem.
Es lebt in Leipzig eine Gruppe ausgesprochen banaler, umgänglicher Sachsen, etwas schwatzhaft und um Witz bemüht, aber eben nett. "Die Prinzen" heißt die Band. Die Prinzen singen seit der deutschen Einheit a capella mäßig amüsante Lieder. "Alles nur geklaut", "Du musst ein Schwein sein" und "Ich wär so gerne Millionär".
Was ist eine typisch deutsche Frage? Zum Beispiel das, womit die Göre Klein Erna beim Anblick eines etwas waghalsig herumspringenden Kindes in breitestem Hamburger Dialekt ihre Mutter nervt: "Darf das das?"
Pathos. Schweigen. Betroffenheit. Trost. Für die Verstärkung dieser Begriffe, die durch inflationäre Abnutzung schnell zu Leerformeln erstarren, eignet sich kaum eine Kunstform so gut wie Musik. Klassische vor allem.
Tief verunsichert in ihrer Wertigkeit angesichts einer auf Fun und schnelle Halbwertzeiten getrimmten Gesellschaft, schlägt im kollektiven Unglück ihre größte, symbolträchstigste Stunde. Weil sie doch, anders als der vermeintlich flache Popsong, den tiefsten Emotionen Raum zu geben vermag. Nicht umsonst erklang in der UdSSR beim Tod eines Kreml-Chefs allen Untertanen im Radio Chopins Trauermarsch. In Deutschland wird gerade jedes Konzert mit dem Mozart- oder Verdi-Requiem automatisch als Gedenkveranstaltung deklariert. Was seinen Höhepunkt im noch nie dagewesenen, gemeinsamen Trauerauftritt dreier sich sonst befehdender Berliner Spitzenorchester "In Friendship and Solidarity" fand. Live auf "3sat", politische Honorationen in der ersten Reihe.
Während in der Endlosschleife der Dauernachrichten selbst bei Privatsendern das ewig neue Zerbersten der Hochhaustürme mit Beethovens "Eroica" unterlegt wurde, hatte sich Sabine Christiansen für ihren Videoclip des Terrors das streicherschwere Adagio von Albinoni ausgesucht. In den USA kommt das Adagio for Strings von Barber zu neuen Ehren. Wobei man dort sowieso über ein reiches Arsenal patriotischer Hymnen verfügt. Und so verwundert es nicht, daß es das sentimentalere "God bless America" als heimliche Hymne war, welches die Kongressabgeordneten letzten Mittwoch statt des gloriosen national anthem vom "Star Spangeled Banner" sangen.
In London hat man gar bei der "Last Night of the Proms" die patriotischen britischen Jubelstücke durch Beethovens vielfach mißbrauchte "Ode an die Freude" sowie amerikanische Gesänge ersetzt; um sich schließlich bei dem irischen Silvesterlied "Auld Lang Syne" gemeinsam die Hände zu drücken. Doch auch die Popfront ist nicht tatenlos. Nun hat nicht nur Michael Jackson ein wohltätiges Terrorlied angekündigt, und Enyas Sadativum "Only time", unterlegt mit aktuellen Medienkommentatoren, läuft in den USA in heavy rotation.
Was hier entsteht, besonders in der klassischen Musik, ist meistenteils neuer Betroffenheitskitsch. Man wiegelt die Ereignisse ab, versenkt sie in einem Tränenmeer von Noten. Die Musik wird so nicht aufgewertet, sie wird als Tempotaschentuch mißbraucht. Nicht das autonome Kunstwerk hat noch sein Recht, es entschuldigt sich stattdessen fortwährend für sein Dasein. Und steht als Psychopharmakon weiterhin in der zweiten Reihe.
Der Terrorismus als horrible Verwirklichung der Vision vom modernen Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung.
Verändert sich die Welt, so müssen wir auch die Sprache verändern. Das fällt uns schwer. So haben wir bislang noch kein Wort für die Militäraktion gegen den Terrorismus gefunden. Weder "Krieg" noch "Polizeiaktion" paßt. Vielleicht sollten wir ein Wort erfinden. Aber das tun wir nicht gern. Es käme einer Kapitulationserklärung gleich: Wie stark muß die Bedrohung sein, wenn wir darauf noch nicht einmal sprachlich mit bewährten Mitteln reagieren können! Lieber geben wir uns der Vorstellung hin, wir hätten für das Neue schon längst Begriffe, die wir nur noch anwenden müßten. Etwa "Netzwerk". Binnen Tagen ist es zur Standardvokabel für die Beschreibung terroristischer Strukturen geworden. Und das, obwohl die Ermittlungen erst am Anfang stehen. Insofern sagt das Wort bislang vor allem etwas über unsere Vorstellungen aus.
Netzwerke gibt es in Computern und im Internet. "Bande" oder "Guerilla" wirken demgegenüber steinzeitlich, während man bei "Organisation" an starre Hierarchien denkt. Netzwerke sind flexibler, flacher, "lean management". Der Terrorismus als horrible Verwirklichung der Vision vom modernen Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung.
Zugleich als Teil der Gesellschaft. Einem Netzwerk stehen wir nicht wie dem äußeren Feind an Fronten gegenüber. Vielmehr gehört es zu unserer Gemeinschaft wie das bei der Altenbetreuung von Sozialpolitikern geforderte Netzwerk aus Verwandten und Nachbarn; oder jenes der Bio-Höfe und Kooperativen, das die alternative Linke der siebziger und achtziger Jahre entwarf: Halt und geistiger Nachschubgarant der Vereinzelten. Was für ein grauenhafter Wandel des Blicks auf die eigene Gesellschaft, wenn deren Mikrostruktur plötzlich als Lebensraum des Terrors erscheint! Zivilgesellschaft unter Verdacht, der Feind ist in uns.
Zugleich gibt das Wort Hoffnung. Ein Netzwerk kann man zerschneiden. Funktioniert das aber im Internet? Und handelt es sich wirklich um Fäden, geht es nicht eher um Worte und Schweigen, kurze Begegnungen und Blicke? Wie will man das zu fassen bekommen?
Ob "Netzwerk" der richtige Begriff zur Beschreibung terroristischer Strukturen ist, wird sich zeigen müssen. Schon jetzt aber steht fest, dass es sehr präzise unsere Verunsicherung charakterisiert.
Es lebt in Leipzig eine Gruppe ausgesprochen banaler, umgänglicher Sachsen, etwas schwatzhaft und um Witz bemüht, aber eben nett. "Die Prinzen" heißt die Band. Die Prinzen singen seit der deutschen Einheit a capella mäßig amüsante Lieder. "Alles nur geklaut", "Du musst ein Schwein sein" und "Ich wär so gerne Millionär".
Vermutlich hat der Ärger, den die Gruppe heute hat, mit der gestillten Sehnsucht nach Millionen einiges zu tun. Anstatt in angemahnter Dankbarkeit nun Hymnen auf ihr Vaterland zu dichten, schimpfen sie auf ihrer jüngsten Single "Deutschland": "Wir sind besonders gut im Auf-die-Fresse-hau'n/ Auch im Feuerlegen kann man uns vertrau'n/ Wir steh'n auf Ordnung und Sauberkeit/ Wir sind jederzeit für'n Krieg bereit." Vergessen haben sie den Hang der Deutschen, sich vorhersehbar zu äußern. Noch bevor die Single überhaupt erschienen war, empörte sich die Landespolitik. Und es hieß, Die Prinzen schwächten die Moral der Truppe, die nach Mazedonien soll.
Die deutschen Punks befanden nun, Die Prinzen, früher Sangesknaben beim Thomaner- und beim Kreuzchor, seien gar nicht übel. Deutsch war obendrein die Reaktion der Prinzen selbst: Sie gaben eine Pressekonferenz. In Chemnitz. Sie erläuterten zerknirscht das Heikle des Ironischen, das Plakative eines Popsongs. Sie verwiesen auf die Kompetenz des Hörers, der das alles instinktiv zu deuten wisse. Heine und Tucholsky wurden ebenfalls erwähnt. Was nicht zur Sprache kam, war das recht deutsche Mißverständnis, Pop sei eine ernste Sache. Wo der Bundeskanzler mit den Scorpions einen trinkt, und wo die CDU im Bundestag die "Rock- und Popmusik" erläutern will, hat Pop es auch nicht leicht. Seit mehr als 20 Jahren sind Juristen beispielsweise mit der lange aufgelösten Punkband Slime beschäftigt. Deren Song "Deutschland muß sterben, damit wir leben können" wird ganz gern auf Demos angestimmt. Ein Amtsgericht hat das verboten und den Song zum Kult befördert. Kürzlich haben die Verfassungsrichter mild entschieden, daß es sich um Unsinn handle, also Pop. Die Anarchist Academy aus Iserlohn sang "Bundestag brenn!" Die Skeptiker aus Ostberlin schrien "Deutschland halt's Maul!". "Deutschland" gilt im deutschen Pop als Synonym für Spießertum.
In Großbritannien wünschen Bands der Königin das Fallbeil an den Hals und dem Premier noch Ärgeres, der Brite hört gelassen wippend zu. Dem Deutschen sagt man nach, er sitze auf dem Sofa, nehme übel und das einfältigste Lied noch ernst.
Was ist eine typisch deutsche Frage? Zum Beispiel das, womit die Göre Klein Erna beim Anblick eines etwas waghalsig herumspringenden Kindes in breitestem Hamburger Dialekt ihre Mutter nervt: "Darf das das?"
Nur allzu selten steht, wenn in Deutschland etwa über Kunst, Satire, Wissenschaftsfortschritt, Moral oder andere schwierige Dinge gestritten wird, obenan die Frage, ob etwas vernünftig, gut, anständig, sinnvoll, schön, aufregend und interessant sei oder nicht. Meist mündet Volkes Disput sehr schnell in ein simples "Ist das eigentlich erlaubt?" Notorische Euphemisten mögen darin ehrenvollen Restwiderstand eines Wertebewußtseins gegen die um sich greifende Beliebigkeit sehen. Aber zu leugnen, daß hier auch spießige Untertanenseligkeit am Werk ist, wäre unsinnig.
Zwei aktuelle Beispiele aus dem Reich der Ökonomie. Als neulich das Rabattgesetz geändert wurde, schwärmten Fernsehreporter aus, um zu kontrollieren, ob das neue Gesetz, das ja das Feilschen "erlaubt", auch eingehalten werde. Arglose Verkäuferinnen wurden inquisitorisch gefragt, warum man mit ihnen nicht handeln könne, und, wenn sie sich weigerten, mehr oder weniger deutlich des Gesetzesbruchs verdächtigt. Dabei war Feilschen nie verboten, nur nicht üblich und darum in der Regel erfolglos. Das Neue im Gesetz war nur die Erlaubnis, höhere Rabatte zu gewähren.
Ähnliches passiert jetzt mit der Umstellung auf den Euro. Allenthalben warnen die Ratgeber: Unternehmer und Geschäfte könnten das neue Geld klammheimlich dazu nutzen, ihre Preise "aufzurunden", also zu erhöhen. Und schon hört man überall Volkes teutsche Entrüstung: "Ja, dürfen die denn das, wo es doch einen offiziellen Umrechnungskurs gibt?" Dabei existiert - weder mit noch ohne Euro - kein Verbot, Preise zu erhöhen. Die Frage ist doch nur, ob Preiserhöhungen dem Geschäft gut bekommen. Natürlich wird es Versuche geben, im Schutz des Euro Preise aufzurunden, aber mit absoluter Sicherheit auch clevere Geschäftsleute, die gerade darin ihre Chance sehen, mit niedrigeren Preisen der Konkurrenz Kunden abzujagen.
Das wird noch ein spannender, für manchen Beteiligten allerdings auch nicht ungefährlicher Euro-Preiskrieg. Im Ausland haben das offenbar schon mehr Menschen kapiert als bei uns. Hierzulande dauern Lernprozesse über den Umgang mit Freiheit immer etwas länger, ganz besonders bei Klein Erna. Als die Mutter sie beruhigt, das fremde Kind dürfe offenbar so sorglos herumhüpfen, reagiert die Tochter unter ungläubigem Kopfschütteln bekanntlich mit dem klassisch deutschen Satz: "Daß das das darf..."